Im Alter von 16 Jahren hatte Tanya Laube Akne auf Brust, Gesicht und Rücken. Und obwohl sie nicht überdurchschnittlich viel aß, hatte sie Probleme, ihr Gewicht zu halten und zu kontrollieren. „Ich vermute, dass Sie Zysten an Ihren Eierstöcken haben“, sagte ihr Arzt. Eine Ultraschalluntersuchung bestätigte die Diagnose. Einen Namen für die Erkrankung aber konnte der Arzt ihr nicht nennen.
Das war in den späten 1980ern. Damals gab es kaum Informationen über das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS), und so sollte auch Laube erst wesentlich später herausfinden, dass es genau diese Erkrankung war, die hinter ihren Beschwerden steckte: PCOS. Noch immer wissen viele Frauen im gebärfähigen Alter nicht, dass es die Erkrankung überhaupt gibt und das, obwohl weltweit jede zehnte Frau von der Hormonstörung betroffen ist.
Die Hauptsymptome sind seltene und unregelmäßige Menstruationszyklen, der Eisprung bleibt aus. Hinzu kommen übermäßige Körperbehaarung, hartnäckige Akne und Gewichtsprobleme. 80 Prozent der Frauen mit der Diagnose PCOS sind übergewichtig.
Zysten sind keine Seltenheit
Zysten an den Eierstöcken sind ebenfalls eines der klassischen Anzeichen für die Hormonstörung. Trotzdem ergibt sich aus diesem Symptom allein nicht unbedingt die Diagnose PCOS. Das einzig sichere Merkmal ist ein zusätzlich erhöhter Androgenspiegel, der sich durch eine Blutprobe feststellen lässt.
Androgene sind männliche Sexualhormone – Testosteron ist das bekannteste Hormon dieser Gruppe. Männer haben diese Hormone in größeren Mengen im Körper, aber auch Frauen haben Androgene. Ein zu niedriger Androgenspiegel kann etwa zu einem geringen oder gar zu einem ganz fehlenden Sexualtrieb führen, aber auch zu Müdigkeit und Muskelschwund. Eine spezielle PCOS-Therapie gibt es nicht, stattdessen wird meist die Antibabypille verschrieben.
Die Antibabypille „Diane 35“ und Metformin
Nachdem Laube im Alter von 21 Jahren ihr Heimatland Kanada verließ und nach Deutschland zog, nahm sie zunächst weiterhin die Antibabypille, die ein Arzt ihr zuhause verschrieben hatte. Als die Packungen aufgebraucht waren, fand sie einen deutschen Gynäkologen, der ihr „Diane 35“ verschrieb – eine Antibabypille, die der Arzt als „die stärkste auf dem Markt“ bezeichnete.
„Ich nahm ‚Diane 35‘ und bekam Migräne. Zusätzlich hatte ich sehr starke Perioden. Ich hatte schreckliche Krämpfe, ich verlor mehr Blut, als ich überhaupt im Körper zu haben schien. Aber ohne „Diane 35“ hatte ich gar keine Periode, und ich verlor meine Haare“, sagt Laube.
Als sie 26 Jahre alt war, suchte Laube nach einer alternativen Therapie. Das war Mitte der 90er Jahre, und sie konnte etwas für ihre Recherche nutzen, das für die damalige Zeit noch neu war: Google. Mithilfe der Suchmaschine fand Laube zum ersten Mal einen Namen für ihre Symptome: PCOS.
Sie versuchte, alle verfügbaren Informationen zu sammeln und schrieb etliche Ärzte an. Schließlich erhielt sie eine Antwort von einem US-amerikanischen Arzt, der ihr riet, es mit Metformin zu versuchen, einem Diabetes-Medikament, das PCOS-Patientinnen mittlerweile häufig verschrieben wird. Die Idee war damals neu, denn das Wissen über PCOS war noch recht dürftig.
Deutsche Ärzte rieten ihr jedoch von der Einnahme ab. Also bat sie ihre Mutter, ihr Metformin aus Kanada zu schicken. Innerhalb weniger Wochen nach der Einnahme kehrte ihre Periode zurück. Weil viele Frauen mit PCOS keinen Eisprung haben, bleibt eine Schwangerschaft oft ein unerfüllter Wunsch. Doch mit Metformin war Laube bereits zwei Monate später schwanger.
Ein langer Weg bei der Suche nach Erklärungen
Laube recherchierte auch nach ihrer Schwangerschaft weiter und stieß auf den Mediziner Onno Janssen vom Endokrinologikum in Hamburg. Er untersuchte damals die Möglichkeiten einer Behandlung von PCOS mit Metformin. Im Laufe der nächsten zwei Jahre leistete Janssen viel Aufklärungsarbeit zu PCOS. Davon profitierte nicht nur Laube sondern auch weitere 200 Frauen mit PCOS-Symptomen.
Schließlich gründeten die Betroffenen zusammen mit Janssen und anderen Ärzten seiner Abteilung die erste nationale PCOS-Selbsthilfegruppe in Deutschland. Laube sagt, die Anfragen, die sie bekamen und immer noch bekommen, seien fast immer die gleichen: Frauen, die von einem Arzt zum nächsten geschickt würden und von denen immer wieder einige vor Erleichterung weinten, nachdem sie mit ihr gesprochen und erfahren hätten, dass sie nicht alleine sind.
Was sind Gründe für PCOS?
Laube gehört zu den sogenannten Natives, den amerikanischen Ureinwohnern und entspricht damit dem Profil der typischen PCOS-Patientin. Bei ihnen kommt PCOS häufiger vor, genauso wie bei afrikanisch-karibischen und südostasiatischen Frauen. Auch Laubes Tochter hat das Syndrom. Heute gehen Mediziner davon aus, dass die Erkrankung genetisch bedingt ist.
Hinter jedem Fall steckt ein anderes Schicksal. Bei Laube wirkte Metformin, aber bei anderen überwogen die Nebenwirkungen, so dass diese Frauen das Medikament absetzen mussten. Und während die Antibabypille „Diane 35“ bei Laube nicht funktioniert hat, machten andere Frauen gute Erfahrungen damit. Eine spezielle Therapie für PCOS aber gibt es nicht.
„Seit fast 90 Jahren gibt es keine zugelassenen Medikamente oder Behandlungen speziell für PCOS“, sagt Sasha Ottey, Leiterin von PCOS Challenge, einer amerikanischen Informationsvideoserie über das Syndrom. Die Mikrobiologin hatte PCOS Challenge nach ihrer eigenen PCOS-Diagnose im Jahr 2008 gegründet. Sie will das Bewusstsein für die Erkrankung in der Öffentlichkeit und auch unter Medizinern schärfen.
Zwar ist es heute einfacher als noch vor zwei Jahrzehnten, eine richtige Diagnose zu erhalten, doch noch immer werden viele Frauen gar nicht oder falsch über mögliche Therapien informiert.
Besonders hart trifft es diejenigen, die aufgrund der Hormonstörung übergewichtig sind: Sie bekommen häufig zu hören, sie sollten abnehmen und dann später nochmal wiederkommen. Das war auch bei Ottey der Fall. Anderen wiederum wird gesagt, sie seien unfruchtbar. Das aber stimme einfach nicht, sagt Colin Duncan, ein PCOS-Experte an der Universität Edinburgh.
„Vielen der Patientinnen wurde in der Klinik gesagt, dass sie keine Kinder bekommen könnten“, sagt Duncan. „Aber Frauen mit PCOS bekommen auch ohne Behandlung Kinder. Denn hin und wieder haben sie eben doch einen Eisprung. Ich glaube, dass manche Leute einfach überängstlich sind.“
Gewichtsprobleme und psychische Erkrankungen
Abgesehen von der Fruchtbarkeit bereiten Duncan die Gewichtsprobleme bei PCOS die größten Sorgen. Übergewicht kann oft ernsthafte psychische Probleme auslösen.
„Die Frage ist: Warum sind Frauen mit PCOS häufiger übergewichtig? Die Antwort lautet nicht, dass sie zu viel essen oder sich zu wenig bewegen. Das ist zu simpel. Wenn man sich die Ernährungsgewohnheiten von Frauen mit PCOS ansieht, essen sie meist nicht mehr als andere Frauen. Und wenn man sich ihre körperliche Aktivität ansieht, scheinen sie auch nicht weniger zu tun als andere“, sagt Duncan.
Er erklärt, dass das Übergewicht darauf zurückzuführen sei, dass Frauen mit PCOS einen geringeren Energieverbrauch haben, möglicherweise wegen eines höheren Insulinspiegels.
„Sie sind weniger in der Lage, Kalorien zu verbrennen. Ihr Energieverbrauch ist also geringer. Das heißt ihre Voraussetzungen sind andere. Frauen mit PCOS müssen jeden Tag 20% mehr Sport treiben oder 5% weniger essen, um das Gleiche zu erreichen wie andere.“
Die Wahrscheinlichkeit, an einer Essstörung zu erkranken, ist bei Frauen mit PCOS viermal höher als im Durchschnitt. Auch die Depressionsrate ist Berichten zufolge wesentlich höher. Hinzu kommt, dass es oft nach wie vor am Verständnis von Fachleuten mangelt. Das macht die Situation noch schlimmer.
Frauen mit PCOS, die Ottey kennt, „fühlen sich verurteilt und stigmatisiert, ihnen wird nicht geglaubt, ihnen wird nicht zugehört und niemand hört sie. Viele Patientinnen sagen, ihre Ärzte gingen davon aus, dass sie lügen, wenn sie über ihre Ernährung oder ihre körperliche Aktivität berichten“, sagt sie. „Unser Stoffwechsel ist eben anders.“
Autor: Clare Roth
Das Original zu diesem Beitrag „Grundlos zugenommen? Bei jeder zehnten Frau ist Hormonstörung schuld“ stammt von Deutsche Welle.
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