Das Rätsel um Deutschlands wahren Corona-„Patient Null“

War der Webasto-Mitarbeiter gar nicht der erste Corona-Fall in Deutschland? Ein Patientenbericht der Berliner Charité scheint einen früheren Fall zu belegen. Die Hintergründe.

Am 27. Januar 2020 hatte das Münchner Tropen-Institut den ersten Corona-Fall in Deutschland bestätigt. Ein 33 Jahre alter Mann hatte sich beim Autozulieferer Webasto bei einer aus China angereisten Kollegin angesteckt. 16 weitere folgten.

Doch war der Webasto-Mitarbeiter gar nicht „Patient Zero“? Ein Patientenbericht der Berliner Charité deutet auf einen früheren Fall hin. Er wurde am vergangenen Freitag im „ Journal of Medical Case Reports “ veröffentlicht.

Charité-Patient mit atypischer Lungenentzündung

Darin berichten die Charité-Mediziner von einem 71 Jahre alten Mann, der am 30. Dezember mit Atemproblemen und Fieber eingeliefert wurde. Der Patient war übergewichtig, Raucher und hatte bereits einen Schlaganfall erlitten. Mit Hilfe von CT-Scans diagnostizierten die Ärzte eine atypische Lungenentzündung (Pneumonie) – „einschließlich Viren als möglicher ursächlicher Erreger“, heißt es in dem Bericht. Sie schlossen eine Infektion mit Legionellen und Streptokokken aus, jedoch wurde nicht weiter nach dem Erreger gesucht.

Der Patient wurde mit Antibiotikum behandelt, künstlich beatmet und sogar über mehrere Tage intubiert. Am 28. Januar wurde er mit „einem schweren anhaltenden neurologischen Defizit“ nach Hause entlassen. Das bedeutet, er erlitt schwere Hirnschäden. Im April starb er.

Zudem litt ein Familienmitglied, das den erkrankten 71-Jährigen regelmäßig in der Klinik besucht hatte, im Anschluss über mehrere Tage an Fieber bis zu 41 Grad. Doch auch hier wurde keine Erregerdiagnose durchgeführt.

„Fall deutet darauf hin, dass sich Covid-19 bereits im Dezember 2019 in Deutschland ausbreitete“

Die Mediziner schreiben: „Leider sind die Blutproben unserer Patienten für die weitere Analyse nicht mehr verfügbar.“ Sie hätten sonst PCR-Tests durchführen können. Doch auch CT-Befunde seien ein starkes Indiz. Denn rückblickend sehe man auf den noch immer existierenden Bildern das „charakteristische Erscheinungsbild und Verteilungsmuster einer Covid-19-Pneumonie“.

Ihr Fazit: „In Anbetracht der Befunde der Thorax-Computertomographie (CT) ist es wahrscheinlich, dass es sich bei unserem Patienten um einen der frühesten Fälle von Covid-19 in Deutschland handelt. Der klinische Verlauf stimmt mit dieser Vermutung überein.“ Und weiter: „Dieser Fall deutet darauf hin, dass sich Covid-19 bereits im Dezember 2019 in Deutschland ausbreitete.“

Auch aus europäischen Nachbarländern gibt es ähnliche Berichte. In Frankreich wurde am 24. Januar der erste offizielle Corona-Fall in Europa nachgewiesen. Der Fallbericht eines Intensiv-Patiententen nahe Paris von Dezember 2019 deutet nun ebenfalls auf einen früheren Ausbruch hin. Auch in Norditalien wurde in Abwasserproben von 18. Dezember Sars-CoV-2-RNA nachgewiesen.

Was bedeuten die früheren Fälle nun konkret?

Weltgesundheitsorganisation WHO und westliche Experten kritisieren immer wieder Chinas mangelnde Transparenz im Umgang mit der Corona-Pandemie und deren Ursprung. China hatte die WHO erstmals am 31. Dezember 2019 über die Fälle informiert. Die früheren möglichen Infektionen in Deutschland und Europa könnten nun ein Hinweis darauf sein, dass es in China schon vorher Infektionen gegeben hatte, die nicht offiziell mitgeteilt wurden.

Die neuen Erkenntnisse dürften die aktuelle Debatte zudem weiter befeuern. Erst kürzlich hatten neue Daten der chinesischen Seuchenschutzbehörde für Aufregung gesorgt. Virologe Alexander Kekulé zweifelte den Zeitpunkt der Datenveröffentlichung, die Ergebnisse der Proben sowie die Integrität Chinas an. „Das stinkt zum Himmel“, urteilte er im MDR-Podcast.

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