Psychopath oder Soziopath: Was ist der Unterschied?

Sherlock Holmes ist arrogant, unhöflich, oft kaltherzig und, um es vorsichtig auszudrücken, unbeholfen im Umgang mit Mitmenschen. Zu einem Psychopathen macht ihn das aber nicht, wie der Detektiv in der bekannten BBC-Serie mehrfach genervt klarstellt: „Ich bin kein Psychopath. Ich bin ein hochfunktionaler Soziopath!“

Dass kaum einer den Unterschied kennt, ist kein Wunder: Im Alltag und in den Medien werden die beiden Begriffe oft synonym verwendet. Und wer jemanden als „Psychopathen“ bezeichnet, meint das in der Regel nicht als Diagnose, sondern als Schimpfwort weil derjenige sich kaltherzig, grausam, rücksichtslos oder in sonstiger Weise asozial verhalten hat. Dabei ist es keineswegs allein das Verhalten, das Psychopathen als solche auszeichnet, sondern ihr Wesen. Aber eins nach dem anderen:

Was ist ein Soziopath?

Soziopathie ist ein anderer Begriff für die sogenannte dissoziale oder antisoziale Persönlichkeitsstörung. Die Betroffenen

  • haben auffallend wenig Einfühlungsvermögen (Empathie),
  • missachten soziale Regeln und Verpflichtungen,
  • sind nicht dazu in der Lage, längerfristige Beziehungen einzugehen und aufrechtzuerhalten,
  • sind reizbar, lassen sich leicht aus der Fassung bringen und werden schnell aggressiv,
  • neigen zu Gewalt,
  • haben kaum Schuldbewusstsein und lernen nicht aus Bestrafung.

Meist zeigt sich diese Störung bereits in der Kindheit oder in der frühen Jugend. Warum und wie genau sie sich entwickelt, ist nicht geklärt. Forscher vermuten, dass verschiedene Einflüsse eine Rolle spielen, unter anderem die erbliche Veranlagung, die Erziehung und Funktionsstörungen in bestimmten Bereichen des Gehirns.

Woran erkennt man einen Psychopathen?

Psychopathie ist eine schwere Form der antisozialen Persönlichkeitsstörung, die laut dem Fachbuch „Duale Reihe Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie“ mit weitgehendem oder völligem Fehlen von Empathie, sozialer Verantwortung und Ausrichtung an sozialen Normen einhergeht.

Um Psychopathen zu erkennen, verwenden Psychologen und Psychiater die sogenannte Psychopathie-Checkliste, die der kanadische Kriminalpsychologe Robert D. Hare in den 1970er Jahren entwickelt hat. Laut dieser Checkliste (oder, um genau zu sein: laut einer aktualisierten Fassung dieser Checkliste) lässt sich ein Psychopath so beschreiben:

  • Er nutzt andere aus und ist berechnend.
  • Er ist sprach­gewand­t und kann andere durch oberflächlichen Charme für sich gewinnen.
  • Er hat ein er­heblich ü­ber­steiger­tes Selbst­wert­ge­fühl und neigt zur Selbstüberschätzung.
  • Er lügt, betrügt und manipuliert.
  • Er ist gefühlskalt, nur zu oberflächlichen Gefühlen fähig und empfindet kaum oder keine Empathie.
  • Es mangelt ihm an Schuldbewusstsein oder Gewissensbissen.
  • Er ist nicht dazu bereit und fähig, Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen.
  • Er handelt impulsiv und kann sein Verhalten nicht ausreichend kontrollieren.
  • Ihm ist ständig langweilig und er hat permanent das Bedürfnis nach aufregenden Erlebnissen.
  • Er verfolgt keine realistischen, langfristigen Lebensziele.
  • Seine Partnerschaften sind von kurzer Dauer bzw. er hat mehrere Partner zur gleichen Zeit.

Auch Menschen ohne Persönlichkeitsstörung können einzelne dieser Eigenschaften aufweisen. Von Psychopathie sprechen Experten erst, wenn die meisten dieser Merkmale in einer bestimmten Ausprägung vorhanden sind.

Was ist also der Unterschied zwischen Soziopathen und Psychopathen?

Gemäß der heute gültigen Definitionen von Soziopathie und Psychopathie könnte man sagen: Psychopathen sind Hard-Core-Soziopathen. Bestimmte Symptome der Persönlichkeitsstörung sind bei ihnen besonders stark ausgeprägt. Während bei Soziopathen meist noch ein gewisses Maß an Empathie zu beobachten ist, haben Psychopathen mitunter überhaupt kein Einfühlungsvermögen.

Auch der österreichische Psychologe Werner Stangl unterscheidet Psychopathen und Soziopathen in erster Linie anhand ihrer Fähigkeit zu fühlen und ihres Verhältnisses zu Mitmenschen. Psychopathen seien gefühlskalt, aber charmant und manipulativ genug, um oberflächliche Beziehungen aufzubauen. Sie seien daher oft gut in die Gesellschaft integriert und erfolgreich im Beruf.

Soziopathen dagegen hätten zwar Gefühle, seien aber nicht dazu in der Lage, diese zu kontrollieren. Aufgrund ihrer Impulsivität und Aggressivität gelinge es ihnen nicht, Bindungen aufzubauen oder aufrechtzuerhalten. Soziopathen lebten daher oft „am Rande der Gesellschaft“, so Stangl.

Übrigens: Was genau ihn zu einem „hochfunktionalen Soziopathen“ macht, erklärt Sherlock in der Serie nicht. (Stattdessen fordert er sein Gegenüber auf, das mal zu recherchieren.) Warum er kein Psychopath sein kann, ist klar: Er ist offenkundig zu tiefen Gefühlen und hin und wieder sogar zu Empathie fähig. Mit „hochfunktional“ meint er möglicherweise, dass seine sozialen Kompetenzen ausreichen, um nicht am Rande der Gesellschaft leben zu müssen, wie es laut Werner Stangl für Soziopathen typisch ist.

Quellen

Online-Informationen des Pschyrembel: www.pschyrembel.de (Abrufdatum: 23.10.2019)

Online-Informationen des Online-Lexikons für Psychologie und Pädagogik des Psychologen Werner Stangl: lexikon.stangl.eu (Abrufdatum: 23.10.2019)

Möller, H., et al.: Duale Reihe. Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2015

*Der Beitrag „Psychopath oder Soziopath: Was ist der Unterschied?“ wird veröffentlicht von Onmeda. Kontakt zum Verantwortlichen hier.

Quelle: Den ganzen Artikel lesen