Wenn sich die natürliche Geburt nicht rechnet – und welche unnötigen Risiken dadurch enstehen

Eine Situation, wie sie allnächtlich vorkommt: Eine junge Frau, Erstgebärende, liegt in den Wehen, die Herztöne des Kindes werden langsamer. Sie fühlt sich stark, nie hat sie darüber nachgedacht, sich die Schmerzen der Geburt durch einen Kaiserschnitt zu ersparen. Um zwei Uhr nachts klingelt die Assistenzärztin ihre Oberärztin aus dem Schlaf. Mit schlechtem Gewissen, denn die Oberärztin war bis spätabends da, ihre nächste Schicht beginnt am Morgen. Schlaftrunken kommt sie in die Klinik und stellt fest: kein Notfall. Man könnte bis zum Morgen warten. Trotzdem macht sie einen Kaiserschnitt. Warum?

Ein unkomplizierter Kaiserschnitt braucht maximal eine halbe Stunde, danach kann sie schlafen gehen. Vor allem aber bringt die Fallpauschale 3000 Euro, die natürliche Geburt nur 2000. Das ist ungerecht. Denn natürliche Geburten benötigen genauso viel Personal, sind aber nicht berechenbar. Mal dauern sie fünf, mal 16 Stunden. Eine Hebamme, eine erfahrene Frauenärztin und das OP-Pflegepersonal müssen immer vor Ort sein.

Bei Schwangeren kann die Lage jederzeit vom absoluten Wohlbefinden in eine für das Baby bedrohliche Situation kippen. Schon zehn Minuten Sauerstoffmangel können zu schweren Geburtsschäden führen. Aber Kaiserschnitte sind da nur scheinbar die bessere Alternative. Die Gebärmutter wird verletzt, die Narben machen künftige Geburten komplikationsreicher. Die Kinder brauchen häufiger medizinische Nachsorge und erkranken öfter an Asthma oder Diabetes.

Die Patientinnen sind so ahnungslos, sie vertrauen dem Rat der Ärzte. Einen habe ich erlebt, der setzte sich gerne an den Bettrand und sagte: „Wenn Sie meine Frau wären, würde ich Ihnen Kaiserschnitt empfehlen.“ Die Geburtshilfe wird insgesamt so schlecht vergütet, dass die Versuchung, sich von ökonomischen Überlegungen korrumpieren zu lassen, besonders hoch ist. Nach 25 Jahren an verschiedenen Kliniken habe ich an einem Dezembertag 2018 als Chefärztin nach einer Krisensituation entschieden: Das will ich nicht mehr. Mit mir zusammen kündigten fünf Oberärztinnen. Es hat für Presserummel gesorgt. Ich hoffe, es war für etwas gut. Die Patienten müssen verstehen, was ihnen heutzutage in Krankenhäusern widerfährt.

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